28. April bis 6. Mai 2000 in Strausberg, Brandenburg
Das Seminar war die Rückbegegnung zur gleichnamigen Jugendbegegnung im Herbst 1999 in Szeged (gefördert durch Jugend für Europa A.I-DE-179-99-R2).
Anders als in Szeged war dieses Seminar von Anfang an als Integrationsprojekt für geistig behinderte und nicht-behinderte Jugendliche geplant. In Deutschland hat der integrative Ansatz in Ost und West eine lange Tradition. In Ungarn ist das anders. Behinderte Jugendliche werden immer noch in den Familien versteckt. Und – was für uns völlig unverständlich ist – die Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder an einem solchen Seminar teilnehmen. Aus diesen Gründen war es für den ungarischen Partner sehr schwer, eine gemischte TN-Gruppe auf das Seminar einzuladen. Außerdem gab es natürlich Probleme, TN, die schon in Szeged dabei gewesen waren, von der Fahrt nach Deutschland auszuschließen um Plätze für behinderte Jugendliche frei zu machen. Auf deutscher Seite war es umgekehrt sehr schwierig, nicht-behinderte Jugendliche für das Seminar in Deutschland zu begeistern. Am Ende bestand die Gesamtgruppe also zu gleichen Teilen aus behinderten und nicht-behinderten Jugendlichen, wobei es auf deutscher Seite mehr behinderte und auf ungarischer Seite mehr nicht-behinderte Jugendliche gab.
Das Ziel des Seminars glich dem in Szeged: Durch Workshops zum Thema Clownerie und Artistik, durch gemeinsame Aktionen (spezielle Länder-Abende oder gemeinsame Ausflüge) und durch eine betreute Freizeit sollten sich die TN mit ihrer eigenen und mit der persönlichen Lebenssituation der jeweils anderen Gruppen auseinandersetzen. Dabei ging es uns sowohl um den integrativen Ansatz (gemeinsame Arbeit und gemeinsames Leben von behinderten und nicht-behinderten Jugendlichen) als auch um die interkulturelle Ebene (Deutschland – Ungarn).
Dieses Ziel wurde u. E. zum großen Teil erreicht. Die Schwierigkeiten in der Annäherung, die es noch in Szeged gegeben hatte (siehe beiliegenden Bericht des letzen Seminars) gab es nur am ersten und zweiten Tag. Danach spielten weder Nationalität noch Behinderung eine Rolle. Auf den Nachbereitungstreffen in Strausberg und Szeged gab es ausschließlich positive Reaktionen der TN.
Problematisch war, dass in Deutschland die Gruppe aus fast exakt den gleichen TN bestand wie in Szeged. Eigentlich ist das ja ein gutes Zeichen und bei allen unseren Seminaren arbeiten wir darauf hin, dass die Gruppen bei Hin- und Rückbegegnung möglichst identisch sind. In Berlin war es aber so, dass wir immer gegen das „Das-kennen-wir-schon“ der TN arbeiten mußten. Auch wenn natürlich die Methoden andere waren, als in Szeged, so glich sich doch die Struktur der Seminare. Deswegen war es wichtig, dass die Workshops ein völlig neues Thema hatten (Clownerie statt Maskenspiel).
Eine besondere Erfahrung, die wir auf diesem und auch auf dem letzten Seminar gemacht haben, ist, wie einfach es ist, in einer Ausnahmesituation (Seminar) Grenzen zu überwinden, die im Alltagsleben fast als unüberwindlich angesehen werden. Nach kurzer Zeit sind alle TN Bestandteil der Gruppe. Unterschiede werden zwar gesehen und teilweise auch reflektiert und diskutiert, sie sind aber kein Hinderungsgrund mehr für einen ganz normalen, menschlichen Umgang miteinander. Natürlich kann Eric nicht lesen und schreiben. Und für ihn ist es immer noch schwierig zu verstehen, dass sich einige TN mit ihm nicht in deutsch unterhalten „wollten“. Trotzdem war es für alle anderen TN kein Problem, sich darauf einzustellen. Nach einiger Zeit wurde er kritisiert wie alle anderen auch. Es wurden Witze über ihn gemacht – aber er wurde akzeptiert. Nicht nur toleriert oder bedauert…
Eine weitere Erfahrung – die sich aber nicht nur auf dieses Projekt bezieht – ist, dass es bei der Auswahl der Unterkunft nicht so sehr darauf ankommt, gewisse Standards einzuhalten, es „schön“ zu haben. Viel wichtiger ist, dass die TN und das Team das Gefühl haben, gerne gesehen zu sein.
Weil wir ausschließlich auf die BJP-Förderung angewiesen waren, mußten wir versuchen, die Unterkunft so günstig wie möglich zu organisieren. Außerdem wollten wir während des Seminars den Ort wechseln, um sowohl die Möglichkeit zu haben, in Ruhe in den Workshops zu arbeiten (Strausberg), als auch den Wünschen der TN nachzukommen, die natürlich auch gerne Berlin sehen wollten. In Berlin haben wir relativ bescheiden in einem Jugendzentrum geschlafen (Kreuzberger Musikalische Aktion – KMA). Dass morgens an den Duschen angestanden und die Mahlzeiten selbst zubereitet werden mußten, hat den TN nichts ausgemacht, weil die Betreuung durch das Team und auch durch die Mitarbeiter der KMA so gut war, dass diese kleinen Unannehmlichkeiten schnell einfach übersehen wurden. Außerdem gehörte die Selbstverpflegung auch zu unserem Konzept, weil durch das gemeinsame Kochen und durch den gemeinsamen Abwasch natürlich auch ein Zusammenhalt in der Gruppe entsteht.
Im Grunde wurden die Erkenntnisse, die wir aus den beiden Seminaren gezogen haben, bereits erwähnt. Die grundsätzliche Erkenntnis ist, das es ein Gewinn für alle war, behinderte Jugendliche in das Seminar mit einzubeziehen. Das soll uns auch eine Lehre sein für die Planung zukünftiger Projekte, dass es für alle gut sein kann, immer auch behinderte Jugendliche mit unter den TN zu haben.
Die zweite Erkenntnis, die wir aus der Organisation des Seminars gezogen haben, ist, dass es kaum mehr möglich sein wird, Seminare mit sozial benachteiligten Jugendlichen und Jugendlichen aus Osteuropa außschließlich mit der Förderung durch den BJP durchzuführen. Die TN sind einfach nicht in der Lage, mit ihren TN-Beiträgen die Kosten abzudecken.
Inzwischen ist das Projekt fortgesetzt und erweitert worden. Es sind noch Partner aus Polen und Rumänien dazu gekommen und ein gemeinsames Seminar wurde im August 2000 in Oradea (Rumänien) durchgeführt.
Diese Erweiterung auf insgesamt vier Partnerländer hat sich als sehr förderlich erwiesen. Bei den ersten beiden Seminaren gab es jeweils die Gruppe der Einladenden und die der Gäste. Diese Aufteilung hat sich in Rumänien aufgehoben. Fast alle TN des Seminars waren Gäste.
Fortsetzen wollen wir dieses Projekt mit Seminaren in Strausberg im Sommer 2001 und in Debnow (Polen) im Sommer 2002.
Bezüglich der Politik des Geldgebers wäre vielleicht zu überlegen, ob nicht auch tri- und multilaterale Projekte gefördert werden sollten, das sie nach unserer Einschätzung eine größere Wirkung bei den Jugendlichen und auch im lokalen Umfeld erzielen.